Leseprobe
Für alle, die wissen möchten, wie die Geschichte von Moruk weitergeht, kommt hier eine kleine Kostprobe vom nächsten Abenteuer des Jungen aus der Bronzezeit:
Moruk war im Stall.
Er hatte dem Ochsen des Händlers Futter gebracht und ihn getränkt. Er betrachtete das prächtige Tier, das den Hals nach ihm streckte. Es hatte die Augen verdreht, damit es den Jungen anschauen konnte, während die lange, raue Zunge sich in seine feuchten Nüstern schob. „Du bist mir einer!“, lachte Moruk, kraulte den Ochsen zwischen den Hörnern und kratzte ihm den breiten Kopf. Der hielt still und genoss die Zuwendung.
„Du kannst gut mit Tieren umgehen“, hörte Moruk plötzlich eine dunkle Stimme hinter seinem Rücken sagen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Händler in den Stall gekommen war. Wie lange hatte er ihn schon beobachtet?
„Ich könnte einen Helfer gebrauchen“, sagte der groß gewachsene Mann und musterte Moruk nachdenklich vom Kopf bis zu den Füßen, während er mit einem Federkiel zwischen seinen Zähnen stocherte. „Einen Helfer, der mir den Ochsen führt und der keine Angst vor einem Abenteuer hat. Ich habe in diesem Winter noch eine Reise vor mir. Es soll nach Norden gehen, ans Meer. Wenn du magst, kannst du mit mir kommen.“
Moruk war sprachlos. Eine wilde Freude sprudelte in ihm hoch. Ans Meer! Abenteuer erleben! Am liebsten hätte er einen Luftsprung gemacht. Ja, er wollte mit dem Händler gehen!
Aber halt! Schon verschwand das Strahlen von seinem Gesicht. Was für ein Floh hatte ihn gebissen, dass er auch nur daran dachte, fortzugehen!
Nein, das ging ganz und gar nicht.
„Es geht nicht, ich kann nicht weg“, sagte Moruk leise und senkte den Kopf. „Warum nicht?“, fragte der Händler und spuckte die Feder aus.
„Ich muss im Frühjahr wieder zu meinem neuen Hof“, sagte Moruk. „Er ist noch nicht fertig, es gibt noch so viel zu tun. Das Dach muss gedeckt werden, wir müssen Felder bestellen und noch so vieles mehr. Es ist mein Hof, ich kann nicht schon wieder verschwinden und den anderen die Arbeit überlassen.“
„Im Frühling? Dann bist du doch schon wieder zurück. Komm schon, was hast du hier verloren, im Winter kannst du sowieso nicht viel tun.“
Moruk dachte an das große Bündel von Bastfasern, die zu Schnüren gedreht werden mussten, an das Werkzeug, das repariert werden sollte und an all die vielen kleinen und großen Arbeiten, die auf ihn warteten. Traurig schüttelte er den Kopf. „Es geht nicht“, murmelte er.
Der Händler trat ganz nah an ihn heran. „Ich habe gehört, dass du dir ein neues Messer wünschst“, sagte er verschwörerisch. „Schau mal, dies gehört dir, wenn du mit mir kommst.“
Moruk hielt die Luft an. Was der Händler in seiner Hand hielt, war wunderschön. Es war größer als ein Messer: Ein Dolch mit einer Klinge, die mehr als eine Handspanne lang war. Im spärlichen Licht des Viehstalls schimmerte seine Klinge wie ein Mondstrahl und sein Griff war dunkel und glatt. Vier glänzende, runde Niete verbanden das Heft mit der Klinge. Moruk wollte danach greifen, wollte den glatten Griff in der Hand spüren und über die scharfe Klinge streichen, aber der Händler hatte den Dolch schon wieder in eine lederne Hülle gesteckt.
„Überleg es dir“, sagte der Händler noch, dann drehte er sich um und verließ leise pfeifend den Stall.Lange saß Moruk im Stroh, die Arme hatte er um die Beine geschlungen, die Stirn lag auf den Knien. Er dachte nach. Einerseits hatte er wirklich einen Haufen Arbeit zu erledigen und einen knappen Tagesmarsch entfernt wartete ein halbfertiges Gehöft, in das er im Frühjahr einziehen wollte. Andererseits hatte er schon immer davon geträumt, das Meer zu sehen. Aber was würde seine Familie dazu sagen, wenn er mit dem Händler auf Reisen ging? Er konnte sich das Gesicht seines Vaters lebhaft vorstellen, wenn er ihm von seinem Plan berichtete: Erst ungläubig, dann ärgerlich mit dieser steilen Falte zwischen den Augenbrauen.
Moruk war klar: Niemand würde ihm erlauben, mit dem Händler zu gehen. Dann aber dachte er wieder an den prächtigen Dolch und an das Abenteuer, das auf ihn wartete. Und was machte es schon, wenn er eine Weile fort wäre. Noch wurden die Tage nicht länger und schon weit vor dem ersten Frühlingsmond würde er zurück sein. Dann wäre immer noch Zeit, die Arbeit auf dem neuen Hof am großen Strom zu beginnen.
In Moruks Kopf begann ein Plan zu reifen. Wenn er nun den Bast und das halbfertige Werkzeug mit auf die Reise nehmen würde, dann könnte er zwischendurch arbeiten und müsste trotzdem nicht auf die Reise verzichten. Er müsste nur heimlich gehen, ungefragt. Was würde die Familie dann erst sagen, wenn er reich belohnt von seiner Reise zum Meer zurückkäme.
Moruk hob den Kopf und streckte trotzig das Kinn, er hatte sich entschieden.